Australien ist ein Land der Kuriositäten. Es verfügt pro Kopf über die reichhaltigsten Fleisch- und Meeresfrüchteressourcen der Welt, ist aber kulinarisch auffallend unoriginell. Können Sie ein typisch australisches Gericht nennen? Schwierig, oder? Selbst das in der Wildnis reichlich vorhandene Fleisch ist in den meisten australischen Küchen kein Grundnahrungsmittel.
Die Geschichte ist schuld. Australien, als dünn besiedelte Einwanderernation, sah seine erste britische Kolonie 1788 entstehen. Im Gegensatz zu den USA, die Burger und Hot Dogs populär machten, fehlte Australien das kulturelle Gewicht, um eigene Signaturgerichte zu entwickeln.
Doch wenn es ein Gericht mit “typisch australischem” Charakter gibt, muss es einheimische Wildtiere einbeziehen – da kommt das Känguru ins Spiel.
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Känguru als Nahrung: Alte Wurzeln
Kängurus, diese ikonischen Springer mit einer Population von 30-50 Millionen, dienen Ureinwohnern seit Jahrtausenden als Proteinquelle. Die 20.000 Jahre alten Felsmalereien im Kakadu-Nationalpark, die Kängurujagden darstellen, zeugen davon.
Die Zubereitung der Aborigines war einfach: Ohne Töpferwaren beschränkten sich die Methoden auf Rösten. Kängurus wurden ausgenommen, Schwanz und Beine beschnitten, der Körper über Feuer enthaart und in einer mit Kohlen bedeckten Grube gegart. Stunden später wurde das Fleisch gemeinschaftlich verzehrt.
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Kolonisten und Känguru-Küche
Die britischen Siedler übernahmen notgedrungen die Ernährung der Ureinwohner. Da Schweine, Rinder und Schafe noch fehlten, wurden Kängurus zur Hauptfleischquelle. Doch selbst die frühen Siedler taten sich schwer, reines Kängurufleisch zu akzeptieren.
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Das in Charles Jeffreys’ Buch von 1820 beschriebene „Kangaroo Steamer“ wurde zum Kolonialklassiker: Kängurufleisch wurde mit Schweinefleisch, Speck und Gewürzen in einem geschlossenen Topf gedämpft. Das fettige Schweinefleisch kompensierte die Magerkeit des Kängurus.
Warum Australier kein Kängurufleisch lieben
Trotz seines Überflusses eroberte Kängurufleisch nie australische Herzen. Eine Umfrage von 2007 zeigte: Nur 4,7% der Haushalte verzehrten es monatlich. Zwei Hauptgründe: Geschmack und Alternativen.
1. Geschmacksfrage
Die Geschmackswahrnehmung variiert: Manche empfinden Kängurufleisch als wild oder säuerlich, andere als mild. Graue Kängurus schmecken intensiver (häufig exportiert), rote milder.
Doch allen Kängurufleischsorten gemein ist extreme Magerkeit. Zwar gesund, aber wenig verlockend. Die Evolution präferiert fettreiche Fleischsorten wie Schwein, Rind und Lamm. K
2. Es gibt bessere Alternativen
Als Großbritannien Australien als Strafkolonie einrichtete, benötigte es nachhaltige Landwirtschaft. Mit weiten Graslandschaften und trockenem Klima war die Viehzucht ideal. Schafe, Rinder und Schweine wurden zur Grundlage der australischen Ernährung, lieferten Wolle, Leder und Milchprodukte – während Fleisch ein Nebenprodukt war.
Als diese traditionellen Nutztiere leicht verfügbar wurden, war Kängurufleisch nicht mehr notwendig. Warum sollte man mageres Wildfleisch wählen, wenn es saftige Lammkoteletts gab?
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Kängurufleisch: Von der Schädlingsbekämpfung zum Tierfutter
Ende des 19. Jahrhunderts wurden Kängurus hauptsächlich wegen ihrer Felle gejagt, während das Fleisch oft weggeworfen wurde. Dies führte zu einem dramatischen Bevölkerungsrückgang in Ost-Australien.
Im 20. Jahrhundert wurde die Kängurujagd reguliert. In den 1950ern führte man Jagdlizenzen ein, und Kängurufleisch wurde hauptsächlich als Tierfutter verkauft. Europäische Märkte fanden jedoch Verwendungen – besonders Deutschland, wo es mit Schweine- oder Rindfleisch zu Würsten oder Burgerpatties verarbeitet wurde, um das Trockenheitsproblem zu lösen.
Erst in den 1980ern wurde der Verkauf von Kängurufleisch in Australien legalisiert, beginnend mit South Australia. Doch selbst heute bleibt Kängurufleisch im Heimatland ein Nischenprodukt.
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Das letzte Problem: Qualitätskontrolle
Im Gegensatz zu Rind- oder Lammfleisch ist Kängurufleisch oft unhygienisch. Da Kängurus gejagt werden, gibt es keine sofortige Schlachthofverarbeitung. Kadaver können stundenlang in Lastwagen liegen, was zu Verderb führt. Jäger bluten die Tiere nicht aus, daher behält das Fleisch einen metallischen Beigeschmack – ein weiterer Abschreckungsfaktor für Verbraucher.
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Fazit
Kängurufleisch kann trotz seines hohen Proteingehalts und geringen Fettanteils geschmacklich, texturmäßig und qualitativ nicht mit traditionellem Fleisch mithalten. Selbst bei reichlichem Angebot bevorzugen Australier ihre geliebten Lammkoteletts und Rindersteaks gegenüber dieser mageren Alternative. Das Känguru bleibt ikonisch – nur nicht auf dem Esstisch.
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